Herr Pronold, Sie sind ehemaliger Juso-Stratege, erfahrener Wahlkämpfer, Landesvorsitzender, stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag und nun auch noch Mitglied im Kompetenzteam von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Was gibt’s für einen ausgebufften Politprofi dort noch dazuzulernen?

Florian Pronold: Vielleicht darf ich mit dabei sein, eben weil ich ein ausgebuffter Politprofi bin (lacht). Im Ernst, ich bekomme durch das Team von Peer Steinbrück einen Blick auf Deutschland, den ich ohne so nicht bekommen hätte. Nur ein Beispiel: Meine Fachgebiete im Team sind Infrastruktur und Bezahlbares Wohnen. Und wenn man von Bayern ins Ruhrgebiet und weiter nach Ostdeutschland kommt, dann sieht man ungeheure wohnungspolitische Verwerfungen. Ich habe im Osten Wohnblöcke gesehen, zwischen denen war als Spielfläche für die Kinder einfach nur Sand aufgeschüttet. Die Kinder haben sich dann im Supermarkt Einkaufswagen geholt und ineinander geschoben, um wenigstens ein provisorisches Klettergerüst zu haben. Das war ein Bild wie aus der Dritten Welt.

Warum war das dort so?

Pronold: Weil die dortige kapitalgetriebene Wohnungsbaugesellschaft einfach nichts für die Kinder tun und bezahlen wollte. Wenn ich so etwas sehe, dann weiß ich, warum wir unbedingt weiterhin öffentlichen Sozialen Wohnungsbau brauchen. Und deshalb ärgert es mich auch, dass die Bayerische Landesbank ihre GBW-Wohnungen an einen privaten Investor verkauft hat und nicht an das Konsortium der Kommunen.

Das hätte wohl die EU nicht erlaubt…

Pronold: Das wird von Horst Seehofer zwar immer erzählt, aber es stimmt nicht. Christian Ude und ich waren beim zuständigen EU-Wettbewerbskommissar und haben ihn gefragt. Seine Antwort: „Why not. Bavaria is a free land.“ Warum nicht, Bayern ist doch ein freies Land.

Zu Ihrem zweiten Schwerpunkt, der Infrastruktur. Dazu gehören Straßen. Haben Sie sich bei Herrn Seehofer schon für seine Steilvorlage mit der Autobahnmaut für Ausländer bedankt?

Pronold: Ganz abgesehen davon, dass eine Pkw-Maut für ausländische Autofahrer rechtlich gar nicht möglich ist, ist es auch noch eine Milchmädchenrechnung. Nur an die fünf Prozent aller Autofahrer auf deutschen Autobahnen kommen aus dem Ausland. Aus den Erfahrungen unserer österreichischen Nachbarn wissen wir, dass der Verwaltungsaufwand für die Pickerl bei ungefähr sieben Prozent liegt. Am Ende bleibt also nichts übrig, es wäre ein Nullsummenspiel. Seehofer weiß das, ihm geht es auch gar nicht um ein Konzept, sondern darum, mit einem Ausländerthema zu punkten.

Erhalt und Ausbau von Straßen kostet Geld….

Pronold: Jedwede Form einer Pkw-Maut wäre nichts anderes als eine Pendlersteuer. Wir Sozialdemokraten wollen für die Kosten jene in die Verpflichtung nehmen, die die Straßen am meisten belasten und beschädigen, das sind die Lkw. Wir wollen die Lkw-Maut auf Bundesstraßen ausweiten. Das bringt nicht nur zwei Milliarden Euro an Mehreinnahmen, sondern dämmt auch den Mautausweichverkehr ein. Und die Gelegenheit ist günstig, denn bald wird die LKW-Maut neu vergeben und dabei kann die bestehende Technologie ohne weiteres auf das ganze Straßennetz ausgeweitet werden.

Die SPD ist in Bayern und im Bund mit ihren Kandidaten Christian Ude und Peer Steinbrück mit großem Enthusiasmus gestartet. Davon ist nach diversen Problemen nicht mehr viel übrig.

Pronold: Für mich sind in Bayern drei Zahlen ausschlaggebend: 60, 40, 35. Übersetzt heißt das, 60 Prozent finden, dass Christian Ude ein guter Ministerpräsident wäre, 40 Prozent haben nichts gegen ihn einzuwenden und 35 Prozent können ihn sich sehr gut als Ministerpräsident vorstellen. Drei Prozentpunkte hin oder her in den Umfragen können sich binnen eines Tages ändern. Am Ende entscheiden die Wähler und nicht die Demoskopen. Für uns kommt es darauf an, in den letzten Wochen und Tagen alles rauszuholen.

In diesem Jahr ist die Zahl der Wähler, die sich erst in letzter Minute entscheiden wollen, mit über 40 Prozent sehr hoch. Welche Auswirkungen hat das auf den Wahlkampf?

Pronold: Wer meint, sich hinter seinem Infostand verstecken zu können, braucht gar nicht erst anzufangen. Ich mache Hausbesuche, bin mit meiner Dialogbox im ganzen Wahlkreis unterwegs und auch im Internet und bei Facebook im direkten Kontakt mit den Menschen.

Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Pronold: Außergewöhnlich positive. In Neubaugebieten, in denen vor allem junge Familien wohnen, habe ich viele gute Gespräche über den Gartenzaun hinweg geführt. Da lief es besonders gut. Insgesamt haben nur an die 20 Prozent an der Haustür kein Gespräch führen wollen.

Welche Themen interessieren denn die Menschen bei diesen Gesprächen?

Pronold: Es kommen viele Themen und Facetten. Die Menschen verbinden oft ihre eigenen Erfahrungen mit politischen Themen. Am meisten begegnen mir Fragen wie, warum die Griechen so viel Geld bekommen, aber die Rente immer weniger wird.

Nun zu den Tagen nach der Wahl: Falls es nicht reicht für Rot-Grün, wird die SPD dann die rot-rot-grüne Karte ziehen?

Pronold: Nein, denn die Linke hat keine Konzepte und kaum Personen, mit denen sich Verantwortung übernehmen lässt. Bevor sich dort nicht irgendwann die Vernünftigen durchsetzen, sehe ich keine Chance für eine Zusammenarbeit. Koalitions-Farbenspielchen interessieren die Wähler wenig, so meine Erfahrung. Die Bürger interessiert viel mehr die Kinderbetreuung, das Internet…

Internet ist ein gutes Stichwort. Auf dem Land, auch hier in Landau, klaffen bei der Breitbandversorgung große Lücken. Was ist zu tun?

Pronold: Mehrere Dinge. Zur Finanzierung plädiere ich für Bürgerfonds, die zwar nicht utopische Rendite abwerfen, aber sicher sind. Dann muss man akzeptieren, dass es ist nicht möglich ist, Glasfaserkabel in jeden Weiler zu verlegen, wohl aber in jede Region. Dort wo es keine Glasfaserkabel gibt, müsste man auf die moderne LTE-Technik setzen. Und die Versorgungsaufträge gehören großflächiger ausgeschrieben als nur auf Gemeinde-Ebene, dann würde die Rosinenpickerei der Anbieter aufhören. Schnelles Internet ist der Schlüssel zu der Frage, wie der ländliche Raum attraktiv bleiben kann.

Die SPD setzt auf Steuererhöhungen, um die Staatseinnahmen zu erhöhen. Ein unpopuläres Thema.

Pronold: Von unseren Plänen sind nur fünf Prozent der Steuerzahler betroffen, die als Single mehr als 100 000 oder als Ehepaar mehr als 200 000 Euro im Jahr verdienen. Schwarz-Gelb verspricht, was nicht geht: Mehr Investitionen, weniger Schulden und weniger Steuern. Trotz guter Steuereinnahmen hat Schwarz-Gelb in 4 Jahren 100 Milliarden neue Schulden aufgetürmt und nichts in die Zukunft investiert. Die SPD sagt den Menschen ehrlich, dass wir Geld für die Bildung brauchen, für Bahn und Straßen oder für die Kommunen.

Um zum Abschluss zu kommen: Mit der Alternative für Deutschland schickt sich eine weitere Partei an, in den Bundestag einzuziehen. Sehen Sie in der AfD eine Gefahr für die SPD?

Pronold: Die Gefahr ist eine ganz andere: Während Volksparteien mit ihren breiten Themenspektren ihre Bindungsfähigkeit verlieren, profitieren diese Ein-Thema- oder Ein-Punkt-Parteien, weil die Menschen glauben, zielgenauer zu wählen. Mehr kleine Parteien kommen in die Parlamente und die Regierungskoalitionen werden aus immer mehr Parteien bestehen, die noch mehr Kompromisse machen müssen. Dann steigt die Unzufriedenheit mit „den Politikern“ noch stärker an. Diese Entwicklung wird eine große Herausforderung für die Demokratie.

Landauer Neue Presse, 12.09.2013