Die Welt, 31.05.2003 Pressebericht von Peter Dausend.

Welch prominente Begrüßung! Kaum tritt man durch die Tür seines Büros im Berliner Jakob-Kaiser-Haus, da steht man auch schon vor dem Kanzler. Oder vielmehr: Vor jener Variante des Regierungschefs, die noch im letzten November so überzeugend erschien, dass sie den Umschlag eines Magazins schmücken durfte: „Genosse Schröder“. Im Blaumann hält der „Kanzler der Gewerkschaften“ die rote Fahne der Arbeiterbewegung hoch. Im XXL-Format hängt der Plakat gewordene „Spiegel“-Titel nun an der Abgeordnetenwand. Florian Pronold, Bürobenutzer und Plakatbesitzer, steht vor Gerhard, dem Arbeiterhelden, lächelt milde und sagt mit leicht bayrischem Einschlag: „Wir gehen damit eher ironisch um.“

Alles andere an dem Jungabgeordneten ist durchaus ernst gemeint: seine Kritik am Parteivorsitzenden, sein Widerstand gegen die Agenda 2010, das Mitgliederbegehren, mit dem er einen Kurswechsel erzwingen will. Damit aus dem Agenda-Kanzler doch noch Genosse Schröder wird.

Pronold ist bekennender SPDLinker, konfessionslos und Niederbayer. Eine Kombination, die in der Schöpfungsgeschichte eigentlich nicht vorgesehen war. Und noch etwas an dem Rechtsanwalt mit abgeschlossener Banklehre lässt einen aufhorchen. Erst neun Monate sitzt der bayrische Juso-Chef für die SPD im Bundestag – und hat es bereits, im zarten Politikeralter von 30 Jahren, zum Traditionalisten gebracht. Und das, obwohl er nicht dem Sozial-, sondern dem Finanzausschuss angehört. Keine schlechte Leistung, würde nicht „Traditionalist“ heute selbst in sozialdemokratischen Ohren etwa so charmant klingen wie Betonkopf – und auch so gemeint sein. Pronold, der nichts gegen den Traditionalisten, aber viel gegen den Betonkopf einzuwenden hat, kennt die Schublade, in die man ihn so tief hineingesteckt hat, dass er nun Mühe hat, wieder herauszukommen. Mit einer Mischung aus Zynismus, Selbstironie und taktischem Geschick erzählt er dem Besucher daher, was dieser über ihn schreiben wird. Dass er, Pronold, bei der Wahl im Herbst mit 17,7 Prozent das schlechteste Erststimmenergebnis aller Bundestagsabgeordneten erzielt habe und dass er jetzt als kleiner Provinzler im großen Berlin eine noch größere Klappe riskiere. Das passe so schön ins Klischee. Viel besser jedenfalls als die Tatsache, dass er in seinem Wahlkreis Rottal-Inn, „dem schwärzesten in Deutschland“, weit weniger Stimmen verloren habe als die SPD im Landesdurchschnitt. Das werde garantiert nicht zu lesen sein, weil es nicht mehr in die Schublade passe. Nun ja, schaun mer mal. Ganz schön gerissen, sei er, der Jungspund Pronold, sagen die einen. Ganz schön hinterfotzig, die anderen.

Grund hierfür ist dass ihn viele in Partei und Fraktion für jenen Schlamassel verantwortlich machen, den sie alle miteinander einst in die SPD-Satzung geschrieben haben: das Mitgliederbegehren. Pronolds Bayern-Jusos hatten die Idee, es gegen die Agenda einzusetzen, organisierten es – und ihr Chef suchte Mitstreiter in der Fraktion. Heimlich, wie ihm deren Chef Franz Müntefering vorwirft. Um die nicht geführte Debatte nachzuholen, wie er selbst sagt. Seitdem lässt das „Dreckige Dutzend“, die zwölf Fraktionsabweichler, Schröder um die Mehrheit fürchten. Die Aktion hat Pronold in der Öffentlichkeit bekannt gemacht – und bei den eigenen Leuten berüchtigt. Skeptisch beäugen sie den jungen Mann, der so eloquent das alte herzwärmende Vokabular vom „Investitionsprogramm“ und der „Verteilungsgerechtigkeit“ dem kühlen Agenda-Neusprech entgegenzustellen vermag.

In einer Partei, die sich als Projektionsfläche der medialen Strahlkraft ihres Vorsitzenden selbst genug ist, fallen Kritiker des Strahlemanns besonders negativ auf. Pronold kann mit dieser Außenseiterrolle ganz gut leben – er kennt sie ja von zu Hause. Wer an der Donau geboren wurde, lernt schon früh, dass nur tote Fische mit dem Strom schwimmen.

Doch permanent dagegen zu schwimmen, kostet nicht nur viel Kraft – es führt auch nicht immer ans Ziel. Das Mitgliederbegehren dümpelt vor sich hin. Sechs Wochen vor der Deadline sind die Initiatoren von den erforderlichen 67 000 Unterschriften so weit entfernt wie die SPD von der absoluten Mehrheit. Die Agenda wird nicht kippen. Pronold weiß das – und verkauft sich und die übrigen Kritiker als Teilsieger. Ohne ihren Widerstand, so heißt es nun, gäbe es jene Veränderungen nicht, die den Umbau des Sozialstaates verträglicher machten.

Schröder steht mal wieder als der Sieger da. Auf dem Sonderparteitag wird er eine Mehrheit für die Agenda und im Bundestag für die Reformgesetze erhalten. Ist Pronold also der große Verlierer? Mitnichten. Sein Spitzname „Daniel Küblböck“ beschreibt zwar seine Herkunft, sein Idiom und sein bebrilltes Schmalgesicht ziemlich treffend – nicht aber seinen Stand. Schließlich ist Daniel Küblböck jener Jüngling, den Deutschland nur beinahe gefunden hätte, als es einen Superstar suchte. Pronold hingegen ist jener, den die SPD tatsächlich fand, als sie einen Rebellen suchte. Und als Rebell haben dort schon ganz andere angefangen. Selbst jener, der sich heute für den Superstar hält.