Wie kann Inklusion, also das gemeinsame Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern, gelingen? Welche Chancen haben behinderte Jugendliche auf eine qualifizierte Ausbildung und Arbeit? Antworten auf diese Frage wollten die Bundestagsabgeordneten Florian Pronold und Marianne Schieder bei einem Aktionstag unter dem Motto „Inklusion – Mut zur Veränderung“ gemeinsam mit Marion Winter, Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Bildung (AfB) finden.
Dazu besuchten sie die Grundschule Landau, die Lebenshilfe-Schule in Landau und die Agentur für Arbeit in Dingolfing, um sich in der Praxis darüber zu informieren, wo es gut läuft und welche Probleme es gibt. Bei einer Podiumsdiskussion mit dem bekannten Reformpädagogen Otto Herz brachten am Abend Eltern, Schulleiter und Lehrkräfte ihre Wünsche und Vorstellungen vor, wie der Weg hin zur Inklusion weiter beschritten werden sollte.
In Niederbayern gibt es drei Schulen mit dem Profil „Inklusion“, eine davon ist die Grundschule Landau. Rektorin Elfi Strobl erläuterte, wie viele Stunden und Lehrkräfte durch das Profil Inklusion zusätzlich zur Verfügung stehen. Man sei auf einem guten Weg zur inklusiven Schule, so Elfi Strobl, doch sei dies nur ein erster Baustein. In zwei Kooperationsklassen konnten sich die Besucher ein Bild machen, wie der Unterricht mit zwei Lehrkräften abläuft. Die Bundestagsabgeordneten Florian Pronold und Marianne Schieder zollten allen Verantwortlichen an der Schule großen Respekt. AfB-Landesvorsitzende Marion Winter fragte nach, wie es mit den Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrer aussehe, um mit den verschiedensten Arten von Lern- oder Körperbehinderungen umzugehen. Es wurde deutlich, dass die Schulen und Lehrkräfte große Anstrengungen unternehmen, um sich das nötige Fachwissen selbst anzueignen und dass gute Kontakte zu Kindergärten, Förderzentren, Krankenhäusern und Sozialverbänden dabei sehr hilfreich sind. Die SPD-Delegation sah den Freistaat hier in der Pflicht, mehr für die Fortbildung der Lehrer zu tun. Es könne nicht sein, dass bei der Ausbildung von Lehrkräften keine einzige Stunde Sonderpädagogik auf dem Programm stehe. Elternbeirat Daniel Lang sprach als Kommunalpolitiker die Kosten an, die durch den behindertengerechten Ausbau von Schulen entstünden und keinesfalls bei den Kommunen abgeladen werden dürften: Der Freistaat Bayern müsse hierfür die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen. Der Straubinger Stadtrat und stellvertretende SPD-Bezirksvorsitzende Peter Stranninger bedankte sich für die vielen Anregungen, die er gerne auch in seiner Heimatstadt umsetzen möchte.
In der Lebenshilfe-Schule in Landau sprach Schulleiter Jürgen Horn offen aus, dass viele Eltern von behinderten Kindern Bedenken hätten, ihr Kind in die Regelschule zu geben. Das Gefühl, mit den anderen Kindern nicht mithalten zu können, sei eine große psychische Belastung. Inklusion sei grundsätzlich positiv zu sehen, man müsse dazu aber die hohen Qualitätsstandards der Förderschulen übernehmen und dürfe hier keine Abstriche machen. Die Lebenshilfe-Schule strebe für das nächste Schuljahr Partnerklassen mit Schulen im Landkreis an, um den inklusiven Weg zu beschreiten. Florian Pronold zeigte Verständnis für die schwere Entscheidung, vor der die Eltern stünden: „Man muss jeden Einzelfall genau betrachten, um zu sehen, was das beste für das Kind ist“. Zunächst müsse sich die Politik die Praxis in den Schulen anschauen, bevor weitere Schritte gemacht würden. Marianne Schieder betonte:“Kleinere Klassen sind unverzichtbar“. Marion Winter machte klar, dass man alle Kinder nach ihren Fähigkeiten fördern müsse und nicht nach ihren Schwächen beurteilen dürfe.
Mit bei dem Gespräch waren auch Konrektorin Kathrin Hippmann, Elternbeiratsvorsitzender Josef Goldbrunner und seine Stellvertreterin Rosi Stein. Nach dem Meinungsaustausch besichtigte die SPD-Gruppe das Schulhaus und durfte auch in den Unterricht hineinschnuppern.
Wie geht es für Behinderte nach der Schule weiter? Welche Chancen auf eine qualifizierte Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt es gebe, auf diese Fragen wollten die Bundestagsabgeordneten Marianne Schieder und Florian Pronold Antworten von der Agentur für Arbeit in Dingolfing hören. Florian Pronold berichtete von seinem Praxistag in einer Behindertenwerkstätte und betonte, wie wichtig es sei, behinderten Menschen eine sinnvolle Arbeit und keine reine Beschäftigungstherapie zu geben: „In den Werkstätten werden Produkte für große Firmen in der Region gefertigt. Diese Arbeit ist wertvoll und gibt den Menschen Würde.“
Andreas Fedlmeier, Teamleiter für Rehabilitanden und Schwerbehinderte, stellte die vielfältigen Möglichkeiten von Lern- und Körperbehinderten dar. Der größte Teil der ca. 50 Personen im Landkreis Dingolfing-Landau, die jährlich speziellen Bedarf an Vermittlung hätten, sei durch Lernbehinderungen eingeschränkt und habe gute Chancen auf eine betriebliche Ausbildung, während dies bei schwerst körperbehinderten eher die Ausnahme sei. Für diesen Personenkreis gebe es gute Angebote in den Werkstätten und speziellen Rehaeinrichtungen. Maria Amtmann, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Landshut und Rudolf Frank, Leiter Agentur für Arbeit Dingolfing machten deutlich, dass hauptsächlich kleine Betriebe behinderten Jugendlichen eine Chance geben würden. Das sei sehr lobenswert und brauche noch viele Nachahmer. Die Vorbehalte gegen Jugendliche mit Lernschwierigkeiten können in vielen Fällen während eines Praktikums abgebaut werden, betonten die Vertreter der Agentur für Arbeit. Man spüre den Wandel in den Köpfen und wisse mehr und mehr das Potenzial von Behinderten zu schätzen, so Maria Amtmann.
Die Abgeordneten bedankten sich für die großen Anstrengungen, die die Agentur unternehme, um behinderte Menschen optimal zu beraten und sie in den ersten Arbeitsmarkt einzugliedern.
Zum Abschluss des Aktionstages Inklusion luden die Abgeordneten zu einer Podiumsdiskussion in Landau mit dem bekannten Reformpädagogen Otto Herz ein. Otto Herz setzt sich seit vielen Jahren für „Eine Schule für alle – eine Schule des gemeinsamen Lernens“ ein. Gemeinsames Lernen sei ein Menschenrecht. Kinder bräuchten mehr Mitspracherechte, dies sei leider noch nicht in die Schulkultur eingegangen. Es gebe noch viele Baustellen im Bildungswesen. „Kinder müssen von den sozialen Fesseln ihrer Herkunft befreit werden“, forderte der Pädagoge, denn nirgends auf der Welt sei der Lebenserfolg so sehr von der sozialen Herkunft abhängig wie in Deutschland. Eine Individualisierung des Lernens und eine Anpassung des Systems an den Menschen und nicht die Anpassung der Menschen an das System sei nötig. „Unsere Aufgabe ist es, eine Umgebung zu schaffen, in der sich Vielfalt entfalten kann“, betonte Otto Herz.
Zahlreiche betroffene Eltern, Lehrkräfte und Schulleiterinnen und Schulleiter nutzten die Gelegenheit, um ihre Wünsche einzubringen. Bernadette Katsoulas, Mutter einer körperbehinderten Tochter und Edith Greil, 1. Vorsitzende von Gemeinsam Leben – gemeinsam Lernen Deggendorf e.V. schilderten ihren Kampf für eine gute Bildung ihrer behinderten Kinder. Einige Lehrerinnen stellten die Frage, woher sie die entsprechenden Fortbildungen bekämen, um mit den verschiedensten Arten von Lern- oder Körperbehinderungen umgehen zu können. Wie bereits beim Besuch der Grundschule machten die Bundestagsabgeordneten Marianne Schieder und Florian Pronold deutlich, dass der Freistaat Bayern mehr für die Fortbildung der Lehrer tun müsse. „Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hin zum gemeinsamen Lernen gibt es nicht erst seit gestern. Seit vielen Jahren ist klar, dass in die Lehrerausbildung auch die Sonderpädagogik aufgenommen werden muss,“ so Marianne Schieder. Schieder kritisierte auch, dass in manchen Orten Inklusion als Sparmodell ausgenutzt werde, um Klassen zusammenzulegen. Aus den Diskussionsbeiträgen wurde deutlich, dass die Schulen mit der Inklusion alleine gelassen werden. Dennoch sei man auf einem guten Weg, fasste Marion Winter zusammen, da es engagierte Menschen in den Bildungseinrichtungen gebe, die mit viel Kraft daran arbeiten, dass gemeinsames Lernen keine Ausnahme bleibt.
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