Zu den Ergebnissen des Koalitionsausschusses vom 4. November 2012

Ein schwarzer Sonntag für die Koalition: Es war die letzte Chance, in dieser Legislaturperiode noch ein Projekt auf den Weg zu bringen. Aber der Koalitionsausschuss ist zum Offenbarungseid der Regierung Merkel geworden. Schwarz-Gelb ist am Ende – am Ende der Gemeinsamkeiten und am Ende der Glaubwürdigkeit. Da ist kein Ehrgeiz und kein Ziel mehr. Man versucht sich über die Runden zu retten mit dem letzten Aufgebot an Wahlgeschenken, zum Teil bezahlt durch Kürzungen von 2,5 Milliarden Euro beim Gesundheitsfonds und durch Abführungen von 1 Milliarde Euro durch die KfW.

Das Ergebnis ist ein Minimalkompromiss über alte Koalitions-Ladenhüter, aber kein Weg nach vorn. Der verantwortungslose Deal „Betreuungsgeld gegen Praxisgebühr“ war schon gemacht, bevor die Koalitionäre zusammensaßen. Wofür man dann noch 7 Stunden Verhandlungen brauchte, bleibt rätselhaft.
Nichts von dem, was jetzt in wirtschaftlich schwieriger werdenden Zeiten dringend ansteht, stand auch nur auf der Tagesordnung: Nichts zur Eurokrise und zur Lücke bei der Griechenlandhilfe. Nichts zum Mindestlohn. Nichts zur Kurzarbeit. Nichts zur Tarifeinheit. Nichts zur Stabilisierung der Rentenversicherung. Statt Zukunftsvorsorge ein Kuhhandel, der den Dauerstreit der Koalition eindämmen soll. Und Wahlgeschenke, die grenzenlos enttäuschte Wählerinnen und Wähler bei Laune halten und nebenbei einem FDP-Vorsitzenden auf Abruf zusätzliche drei Monate Restlaufzeit bis zur Niedersachsen-Wahl geben sollen.

Dass acht Monate Vorbereitung für den Koalitionsausschuss nicht ausgereicht haben, um das nächtliche Treffen in Anwesenheit des Finanzministers stattfinden zu lassen, setzt dem Ganzen die Krone auf. Aber der hätte bei dem ‚Kessel Buntes‘ mit Riesentombola auch nur gestört.

Der Kuhhandel: Betreuungsgeld gegen Praxisgebühr

Viermal musste die Koalition das Betreuungsgeld beschließen, im Koalitionsvertrag 2009, im Koalitionsausschuss 2011, im Kabinett 2012 und nun noch einmal im Koalitionsausschuss am 4. November. Immer wieder brach der Streit aus. Im Juni 2012 scheiterte die erste Lesung im Bundestag an der Abwesenheit der Koalitionsabgeordneten. Im Oktober musste die zweite und dritte Lesung immer wieder verschoben werden. Der Kuhhandel wurde immer absurder. Die FDP brachte die Abschaffung der Praxisgebühr als Kompensation ein. So soll es nun kommen: Der FDP die Praxisgebühr, der CSU die „Fernhalteprämie“. Chancengleichheit, Bildung und Gleichstellung von Frauen bleiben auf der Strecke.

Das Betreuungsgeld soll jetzt zum 1. August 2013 kommen – 100 Euro im ersten Jahr, 150 Euro ab dem 1. August 2014 als Prämie für Eltern, die ihre Kinder nicht in eine Kita bringen. Die Kosten belaufen sich nach Expertenschätzungen ab 2014 auf 2 Milliarden Euro jährlich. Davon ließen sich 166.000 neue Kitaplätze finanzieren.

Die Verknüpfung mit dem Bildungssparen soll das Betreuungsgeld in den Reihen der FDP-Fraktion mehrheitsfähig machen. Das ist ein Placebo, der die Schmerzen lindern soll. Trotzdem bleibt die „Fernhalteprämie“ eine bildungs-, gleichstellungs- und integrationspolitische Katastrophe. Denn auch das Bildungssparen ändert nichts daran, dass Kinder vom frühen Kitabesuch abgehalten werden. Damit wird frühe Förderung und Bildung verhindert. Hinzu kommt die Privilegierung und Ungleichbehandlung: Denn die Förderung des Kapitalsparens geht an denen vorbei, die auf die Kita angewiesen sind, weil sie einer Erwerbsarbeit nachgehen. Wer Bildung und Chancengleichheit will, muss für gute Kindergärten und Ganztagsschulen für alle Kinder sorgen.

Die Abschaffung der Praxisgebühr ist für sich genommen richtig. Diese Erfindung von CDU und CSU, an der sich die Union bis zuletzt klammerte, ist bürokratisch, verfehlt die Steuerungswirkung, unnötige Arztbesuche zu verringern, und ist vor allem eine einseitige Mehrbelastung von Kranken, die auf den Arztbesuch angewiesen sind. Wir haben die Abschaffung der Praxisgebühr mit einem Antrag in den Bundestag eingebracht. Die Patientinnen und Patienten hätten sie auch ohne die irrsinnige und kostspielige Verknüpfung mit dem Betreuungsgeld haben können.

Der Zankapfel: Rentenstreit wird weiter gehen

Im Koalitionsausschuss wurde Ursula von der Leyens Modell einer „Zuschussrente“ endgültig beerdigt. Eine Grundabsicherung von 850 Euro für langjährig Versicherte hat Merkel vom Tisch genommen. Was jetzt „Lebensleistungsrente“ heißt, wird weniger sein, „knapp oberhalb der Grundsicherung“, die durchschnittlich 688 Euro beträgt, und weder die Lebensleistung anerkennen noch Altersarmut verhindern. Eine Bauchlandung hat die Ministerin mit ihrem Vorstoß zur Beitragsfinanzierung der Leistungen hingelegt. Jetzt sollen sie steuerfinanziert werden. Das ist richtig. Doch bleibt Schwarz-Gelb jede Aussage zu Finanzvolumen und Gegenfinanzierung schuldig. So bleiben die Rentenbeschlüsse vom Wochenende eine Blackbox. Viele Fragen sind ungeklärt. Die Formulierungen im Ergebnispapier sind schlampig und schwammig. Der rentenpolitische Koalitionsstreit wird weitergehen.

  • Welche Zugangsvoraussetzungen gibt es? Wird auf Bedürftigkeit geprüft und werden andere Einkünfte angerechnet?
  • Sind 40 Versicherungsjahre oder 40 Jahre Beitragszahlung erforderlich? Muss über 40 Jahre hinweg privat vorgesorgt werden?
  • Wie sollen Kindererziehungszeiten nun bewertet werden?

Worüber kein Wort verloren wurde: Dass Erwerbsarmut der Hauptgrund für Altersarmut ist. Der Mindestlohn kommt nicht. Langzeitarbeitslose und Geringverdiener erhalten keine Aufwertung ihrer Anwartschaften.

Wiederholt wird die schon beschlossene Senkung des Rentenversicherungsbeitrages von 19,6 auf 18,9%. Statt Stetigkeit und Verlässlichkeit bei der Finanzierung der Rentenversicherung ist eine Achterbahnfahrt zu erwarten. Der Beitragssatz geht jetzt runter, nur um in wenigen Jahren wieder in die Höhe zu schießen. Zukunftsvorsorge für den demografischen Wandel sieht anders aus. Wir fordern stattdessen die Einrichtung eines Demografie-Fonds, die von einer breiten Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unterstützt wird.

Die Nullnummer: Haushaltspolitik ohne Finanzminister – Wahlgeschenke ja, aber Schuldenabbau Fehlanzeige

Finanzminister Wolfgang Schäuble hat am Koalitionsausschuss nicht teilgenommen. Entsprechend sehen die Ergebnisse aus. Zwar wurden bei Betreuungsgeld, Praxisgebühr und Rente Wahlgeschenke beschlossen. Aber eine tragfähige Gegenrechung im Haushalt fehlt. Die großen Risiken aus der Eurokrise waren kein Thema. So geht Haushaltspolitik ohne Finanzminister.

Die Ankündigung eines „strukturell“ ausgeglichenen Haushalts für 2014 wurde in den Medien zu Recht als „Nullnummer“ karikiert. Denn Tatsache ist: Große zusätzliche Ausgabenposten sind nicht einmal beziffert. Und die schräge Formulierung einer „strukturellen Null“ täuscht darüber hinweg, dass Schwarz-Gelb auch 2013 und 2014 noch neue Schulden machen will. In Zeiten von Rekordsteuereinnahmen über 600 Milliarden Euro und enormen Zinseinsparungen durch eine beispiellose Niedrigzinsphase für Deutschland ist das zu wenig.

Die SPD hat ein Finanzkonzept vorgelegt, dass den Abbau der Neuverschuldung ernst nimmt. Wir wollen die Steuermehreinnahmen nutzen, um schon 2013 Schulden zu tilgen, indem wir Verbindlichkeiten aus dem Investitions- und Tilgungsfonds begleichen.

Der Griff in die Sozialkasse

Die Koalition will, um Wahlgeschenke zu finanzieren, beim Gesundheitsfonds kürzen. Schon im jetzigen Haushalt sind Kürzungen beim Bundeszuschuss von 2 Milliarden Euro vorgesehen. Für 2013 sollen jetzt 0,5 Milliarden Euro und für 2014 weitere 2 Milliarden Euro zusätzlich gestrichen werden. Hinzu kommen dauerhaft 2 Milliarden Euro für die Praxisgebühr, die der Fonds den Kassen kompensieren soll. Ein Konzept ist nicht mehr zu erkennen. Gesamtgesellschaftliche Leistungen sollten aus Steuermitteln finanziert werden. Schwarz-Gelb aber verschiebt jetzt die Milliarden nach Gutsherrenart. Das erweckt den Anschein, dass aus dem Gesundheitsfonds ein Sonderkonto für die Gegenbuchung von Wahlkampf geworden ist.

Investitionsbank KfW soll schwarz-gelbe Haushaltslöcher stopfen

Dreist will sich Schwarz-Gelb bei den Finanzreserven der KfW bedienen. Sie soll 1 Milliarde Euro an den Bundeshaushalt überführen. Die KfW ist eine Förderbank, die nicht nur Bundesprogramme wie die CO2-Gebäudesanierung abwickelt, sondern aus ihren Reserven auch eigene Investitionsprogramme fährt. So hat die Bundesregierung den altersgerechten Wohungsumbau komplett gestrichen. Die KfW aber trägt dieses Zukunftsprogramm der Demografievorsorge als Eigenprogramm ohne Bundeszuschuss. Ihre Erträge kommen also Investitionen zugute. Dass Schwarz-Gelb sich jetzt bei den Investitionsmitteln bedient, um Leistungen wie das Betreuungsgeld zu finanzieren, zeigt: Politik von gestern wird auf Kosten der Zukunft bezahlt.

Verkehr

Die Koalition hat beschlossen, im Verkehrshaushalt 750 Millionen Euro zusätzlich für Neubauprojekte bereit zu stellen. Das ist ein Feigenblatt, das die Unterfinanzierung der Verkehrswegeplanung verdecken soll und eher wie ein Verfügungsguthaben für Ramsauer vor der bayerischen Landtagswahl aussieht. Gutachten belegen, dass mehr als 2 Milliarden Euro für notwendige Investitionen fehlen. Schon der Erhalt und die Modernisierung des vorhandenen Verkehrsnetzes macht große Probleme. Wir fordern, mit klarer Gegenfinanzierung, eine Steigerung der Verkehrsinvestitionen in 2013 um 2 Milliarden Euro.

Das Wortgeklingel: Keine Entscheidungen bei Energiepolitik

Zur Energiepolitik und zur Strompreisentwicklung, die Verbraucher und Industrie belastet, hat die Koalition kein Konzept. Das EEG 2012 ist noch nicht einmal 12 Monate in Kraft, da wird schon wieder eine „grundlegende Reform“ angekündigt. Dazu kommen zwei kleinere Novellen in Sachen Solarstrom. Trotzdem ist im Beschluss von Investitionssicherheit die Rede. Das ist ein Widerspruch in sich. Bis März sollen „Ergebnisse“ vorgelegt werden. Auch das zeigt: Bis zur Wahl wird die Koalition jetzt wohl nichts mehr zustande bringen, was der Herausforderung gerecht wird.

Quelle: SPD-Bundestagsfraktion, 05.11.2012