Interview mit dem Online-Magazin „da Hog’n“, geführt am 16.11.2012, veröffentlicht am 20.11.2012:
Bei der SPD brennt momentan die Luft. Mit Aussagen wie “Christian Ude tut mir leid! Mit diesem Ballast gewinnt er die Wahl nie!” oder “Im Oberanger sind auch nur Ja-Sager und Speichellecker erwünscht” hat Regens Landrat Michael Adam am vergangenen Wochenende via Facebook scharfe Kritik an den Führungspitzen der bayerischen Sozialdemokraten geübt – vor allem auch am Landesvorsitzenden Florian Pronold. Es herrscht anscheinend großer Gesprächsbedarf – am kommenden Samstag wollen sich die beiden intern aussprechen, heißt es.
Vor wenigen Tagen haben sich die Hog’n-Redakteure Stephan Hörhammer und Christian Luckner mit dem SPD-Landeschef getroffen, der dabei immer wieder sein gutes Verhältnis zu Adam betonte. Der Eindruck: Politische wie persönliche Harmonie pur – keine Spur von einem drohenden Donnerwetter aus Regen… Ein Interview über SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und dessen Nebeneinkünfte, die Chancen der Sozialdemokraten bei den bevorstehenden Landtagswahlen, den Erklärungsversuch, warum die SPD bisher nicht von den Schwächen der CSU profitieren konnte und die Frage, warum die Christsozielen “100 Prozent Opportunismus” sind. Es ist Wahlkampf-Zeit.
Peer Steinbrück stand ja in letzter Zeit ziemlich in der Kritik, vor allem wegen seiner Nebeneinkünfte. Ist das in Ordnung, dass ein Bundestagsabgeordneter, der gut verdient, nebenbei noch so viel Geld für Vorträge verlangt? Oder provokant formuliert, sich die Taschen „vollmacht“?
Ich bin „gläserner Abgeordneter“ seit ich in den Bundestag gewählt wurde. Seit 2002 lege ich meine Nebentätigkeiten auf Euro und Cent offen. Auf meiner Homepage www.glaeserner-abgeordneter.de bekommen alle Bürgerinnen und Bürger einen kompletten Einblick. Ich bin sehr froh über die Debatte, die sich jetzt entwickelt hat. Noch vor gut einem Jahr hatten wir als SPD – auch Peer Steinbrück – mehr Transparenz bei Abgeordneten gefordert – sind jedoch an Schwarz-Gelb gescheitert.
Doch jetzt haben CDU/CSU/FDP plötzlich entdeckt: Hoppala, da könn‘ ma dem Steinbrück an den Karren fahren! Aber das ist jetzt zu einem Bumerang geworden, weil sich herausstellt, dass die CSU-Abgeordneten mehr Nebeneinkünfte über 7.000 Euro haben als die gesamten SPD-Mandatsträger. Dabei hat die CSU viel weniger Abgeordnete als die SPD.
Deswegen war es für mich auch keine große Überraschung, dass kein einziger Abgeordneter von Union und FDP unserem Antrag auf eine Veröffentlichungspflicht auf Euro und Cent zugestimmt hat.
Finden Sie das, was Peer Steinbrück gemacht hat, jetzt moralisch verwerflich oder nicht?
Nein. Denn es gibt ein geltendes Recht – und das hat Peer Steinbrück eingehalten. Er hat sein Leben ja nicht damit verbracht nur noch aufzutreten und Geld damit zu verdienen. Er hat nur bei Organisationen wie Banken und Versicherungen ein Honorar verlangt, die anderen Referenten auch Riesenhonorare bezahlen. Bei gemeinnützigen Einrichtungen oder ehrenamtlichen Vereinen, die die Mehrheit seiner Vorträge ausgemacht haben, hat er kein Honorar verlangt. Außerdem hat er einen Teil seiner Einnahmen gespendet. Ich habe deswegen damit kein Problem.
Wie sieht es mit seiner Arbeit im Bundestag aus: Hat die unter den vielen Terminen nicht gelitten?
Peer Steinbrück nimmt seine Arbeit im Bundestag ernst. Aber auch das können die Bürger beurteilen, wenn wir alles offenlegen. Es ist, nebenbei bemerkt, ein CSU-Abgeordneter (Peter Gauweiler – Anm. d. Red.), der die meisten Fehlzeiten im Bundestag hat und der bei den Verdiensten aus Nebentätigkeiten auch zur Spitzengruppe gehört. Peer Steinbrück ist im Plenum, er ist in den Fraktionssitzungen, er ist bei den namentlichen Abstimmungen da. Er hat seine Pflichten als Bundestagsabgeordneter nicht vernachlässigt.
Welche Rolle spielt der Neid-Faktor in dieser Debatte?
Mein Eindruck ist, dass Schwarz-Gelb versucht gerade bei den SPD-Wählern, die bei solchen Fragen sehr sensibel reagieren, für Verunsicherung zu sorgen. SPD-Wähler kommen nun mal zum großen Teil nicht aus gehobenen Einkommensschichten. Für eine Rentnerin im Bayerischen Wald sind 25.000 Euro für einen Vortrag sicherlich eine Unsumme. Diese Summe kann isoliert betrachtet sicher Neid hervorrufen. Betrachtet man aber, was ähnlich Prominente, wie Schauspieler, Professoren oder Kabarettisten bei solchen Auftritten bekommen, dann kriegt das Ganze eine andere Gewichtung. Ich denke, dass die Menschen auf solche Neidkampagnen nicht reinfallen, weil das ein viel zu durchsichtiges Manöver ist, dass Schwarz-Gelbe Wasserprediger eigentlich Weintrinker sind. Die, die jetzt anklagen, haben über Jahre hinweg ein Mehr an Transparenz verhindert. Sie können das ja nach Parteien aufschlüsseln, wo es viele Abgeordnete mit Nebentätigkeiten gibt, wo das große Geld verdient wird – und das ist nicht bei Rot-Grün.
Sie haben schon des Öfteren gesagt: „Nein, Bundeskanzler zu werden ist mir viel zu einfach. Ich will Ministerpräsident in Bayern werden“ Auch Michael Adam sagt in Interviews, dass bayerischer Ministerpräsident zu werden die größere Herausforderung für ihn wäre. Gibt es da noch was auszukarteln zwischen ihnen Beiden?
Wir werden beide erst einmal alles dafür tun, dass der nächste bayerische Ministerpräsident Christian Ude heißt. Es geht uns nicht darum, dass einer von uns Beiden dieses Amt bekleidet, sondern darum, dass die SPD regiert und wir gestalten und Inhalte umsetzen können. Ich denke, da spreche ich für uns beide. Und wir werden uns auch nicht streiten, (schmunzelt) wenn es darum geht, wer der Nachfolger von Christian Ude wird. Scherzhaft hat Michael schon mal gemeint, dass er ja jetzt eh erst mal zwei Perioden als Landrat macht, bevor er Ministerpräsident wird. Dann kann ich davor ja noch als Lückenbüßer ein paar Jahre als Ministerpräsident meinen Dienst tun (lacht).
Die nächsten 20 Jahre ist dann also die Sozialdemokratie erst mal am Ruder …
Ich bin kein Träumer. Aber wir haben dieses Mal eine sehr gute Chance in die Regierung zu kommen. Ich habe den Eindruck, dass immer mehr Menschen in Bayern erkennen: Die Welt geht nicht unter, auch wenn die Sozis regieren. Vielleicht würden dann sogar einige Dinge besser laufen. Und das wollen wir nutzen. Aber auch wenn es nicht klappt: Wir haben alle einen sehr langen Atem – die SPD, ich und auch Michael Adam.
Sie fühlen sich also nicht bedroht durch einen Michael Adam, der ja in den Medien momentan durchaus besser ankommt als Sie?
Ich freue mich, dass wir Michael Adam haben. Ich bin froh über jeden in der SPD, der wahrgenommen wird von den Menschen, von den Medien – und ein positives Bild der Partei verbreitet.
Ist Adam so etwas wie der neue „SPD-Messias“?
Mit solchen Ausdrücken wäre ich vorsichtig. Man muss immer aufpassen – auch zum Schutz der Leute –, dass man sie nicht zu schnell in den Himmel lobt, sonst hat man danach das bekannte Ikarus-Phänomen.
Besteht bei Michael Adam hier eine Gefahr dazu?
Nein. Er ist Gott sei Dank bodenständig und läuft nicht Gefahr Starallüren zu entwickeln. Er redet mit den Leuten, nicht über sie. Das ist seine große Stärke. Aber die SPD in Bayern hat ja zum Glück nicht nur einen Michael Adam: Ich hab‘ in Schweinfurt etwa den Florian Töpper, der mit 33 Jahren in Unterfranken zum ersten SPD-Landrat nach dem Krieg gewählt wurde. Ich habe etwa 40 SPD‘ler, die mit unter 40 Jahren Bürgermeister geworden sind in Bayern. Sie alle sind Typen, die anders auf die Leute zugehen. Da wächst eine neue Generation Kommunalpolitiker in der SPD heran und ich bin froh darüber, dass ich die in meiner SPD habe.
Zwischendurch eine etwas privatere Frage, wenn Sie erlauben: Vor der Landratswahl in Regen wurden ja Gerüchte gestreut, dass sie und Michael Adam ein Paar wären. Wie geht man mit solchen Gerüchten um? Bewegt einen das? Oder lacht man da eher drüber?
Ich finde es merkwürdig, dass ein Teil der CSU immer noch glaubt, dass Homosexualität etwas ist, das einem schadet. Ich begreife nicht, dass die immer noch im Mittelalter verhaftet sind und nicht kapieren, dass die sexuelle Orientierung für die Menschen kein wahlentscheidendes Kriterium mehr ist. Ich persönlich habe nie versucht mit meinem Privatleben Politik zu machen. Das sollte man aus der Öffentlichkeit weitestgehend raushalten. Bei der Party nach der Wahl von Michael Adam habe ich aber dann doch öffentlich gefragt, ob der Michael nicht sicherheitshalber meine Freundin anrufen könnte, damit sie nicht auf die CSU-Propaganda hereinfällt … (lacht)
Sie haben öffentlich selbst nie groß Stellung zu der Sache bezogen …
Gegen Gerüchte hat man so gut wie nie eine Chance. In der Politik muss man sich ein dickes Fell zulegen. Ich sehe auch keinen Grund, mich überall hinzustellen und zu sagen: Nein, ich bin aber nicht schwul. Warum auch?
Um nicht ins gleiche Horn zu stoßen, dass es etwas Negatives wäre, schwul zu sein?
Ja, genau. Das ist die Privatangelegenheit von jedem Einzelnen. Und das sollte man so weit als möglich aus der Politik raushalten. Ich weiß, dass das Interesse am Privatleben groß ist. Aber ich persönlich versuche nicht viel vom Privatleben preiszugeben.
Thema Landtagswahl: 18,6 Prozent der Stimmen hat die SPD bei der letzten erreicht. Wie wollen Sie es dieses Mal schaffen an die Regierung zu kommen?
Es gibt natürlich kein Patentrezept. Wir brauchen eine richtige Dialogoffensive, bei der viele SPD-Mitglieder am Stammtisch im Betrieb den „Mundfunk“ einschalten. Das ist der klassische Weg, keine große Neuerung. Die Leute müssen sehen, dass wir für die Sache brennen.
Aber glauben Sie nicht, dass ein Mangel an personellen Zugpferden als Spitzenkandidaten einer der Gründe ist, warum die SPD in Bayern seit 55 Jahren in der Opposition verharrt?
Leute, die in Amt und Würden sind, sind genau deswegen bekannter. Wenn sie seit Jahrzehnten in der Opposition sind, sieht das eben anders aus. Mit Christian Ude haben wir jetzt den beliebtesten, bekanntesten und kompetentesten bayerischen SPD-Spitzenpolitiker als Listenführer – und damit auch die besten Chancen auf einen Regierungswechsel.
Ude ist sicher das bekannteste Gesicht der Bayern-SPD. Es gibt aber auch kritische Stimmen zu seiner Kandidatur. Nach dem Motto: Jetzt, wo er aus Altersgründen nicht mehr als Münchener Oberbürgermeister kandidieren kann, will er plötzlich bayerischer Ministerpräsident werden.
Ich gebe Ihnen recht: Christian Ude wäre sicher nochmal als Münchener Oberbürgermeister angetreten, hätte er die Möglichkeit dazu gehabt. Weil ihm dieses Amt wahnsinnig viel Spaß bereitet. Es ist aber nicht so, dass er nur deshalb kandidiert, weil er sonst nicht wüsste, was er mit sich anfangen soll. Vor mehreren Jahren haben Markus Rinderspacher, Natascha Kohnen und ich überlegt, wer der beste Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2013 ist. Wir waren uns einig, dass Christian Ude die besten Chancen hat, weil er als Münchner Oberbürgermeister so erfolgreich und bekannt ist. Nach seinen früheren Äußerungen haben wir uns nicht vorstellen können, dass er die Kandidatur annimmt. Ich war positiv überrascht, dass wir offene Türen eingerannt haben, als wir ihn gefragt haben.
Wie ernst wird die SPD von ihren politischen Gegnern im Wahlkampf genommen?
Die CSU ist seit einem Jahr nervös. Wir haben es im vergangenen Jahr zum ersten Mal geschafft, beim Politischen Aschermittwoch mit 4.000 Besuchern im Zelt auf Augenhöhe mit ihr zu kommen – bei der CSU-Veranstaltung in Passau gehen auch nicht viel mehr Leute rein. Die Menschen sind neugierig geworden auf den Christian Ude, auf die SPD. Die machen nicht mehr automatisch ihr Kreuz bei den Christsozialen.
Wieso glauben Sie ist das so?
Viele Leute sagen mir: „Wissen’S, mit dem Seehofer, der jeden Tag seine Meinung ändert, des gfoid ma ned! Iatz war ma zehn Jahre fürn Donau-Ausbau – und iatz simma auf oamoi dagegen.“ Oder die Atomwende, die Studiengebühren oder die Wehrpflicht. Da gibt es viele eingefleischte CSU-Wähler, die mit dieser Politik unzufrieden sind.
Wenn die CSU so oft ihre Meinung zu den Dingen ändert, dann müsste die SPD doch davon profitieren können …
Direkt und sofort wird man nicht davon profitieren. Aber man kann sich durch Haltung und Stil davon absetzen. Es gilt, seine Themen inhaltlich zu begründen und dazu zu stehen, auch wenn es schwierig wird – so wie Christian Ude bei der Entscheidung für die dritte Startbahn am Münchner Flughafen. Als Befürworter der Startbahn hat er die Entscheidung der Bürger akzeptiert, als diese sich dagegen aussprachen – auch das spiegelt ein Verhalten wider, in dem sich die SPD von der CSU unterscheidet. Bei Horst Seehofer hieß es: „Was interessiert mich das Votum der Bürger. Wir werden schon einen Weg finden, diese Entscheidung auszuhebeln und die Startbahn zu bauen.“
Sie denken, dass sich die Leute solche Dinge künftig nicht mehr gefallen lassen wollen?
Viele ärgert das schlichtweg. Auch diejenigen, die sich eher bei der CSU sehen. Diese CSU tut so, als sei sie Bayern. Aber das ist sie nicht. Gerade wir Niederbayern, wir sind gradraus, geradlinig. Die CSU aber ist 100 Prozent Opportunismus. Den Leuten in der Partei geht es nicht um Positionen, denen geht es um Posten. Das fällt den Leuten auf und es stößt sie ab, wenn alles versprochen und nichts gehalten wird und die ursprünglichen Positionen schnell aufgegeben werden.
Nochmals nachgefragt: Wenn dem so ist, wie Sie sagen, warum konnte die SPD davon bisher nicht profitieren?
Vielleicht trifft der Vorwurf ja zu, dass die SPD fast schon zu stark über Inhalte diskutiert und sich zu wenig um die „Vermarktung“ dieser Ideen kümmert. Da haben wir sicher noch einiges aufzuholen.
Worin bestehen diese Ideen? Wofür steht die SPD in Bayern?
Ich will das an drei Punkten festmachen – über denen zunächst einmal als verbindendes Element die Gerechtigkeit steht.
Was sind diese drei Punkte?
Punkt eins ist die Bildung. Die Bildungschancen der Kinder dürfen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.
Was will Ihre Partei in diesem Bereich konkret ändern?
Die SPD will mehr Ganztagsangebote mit gezielter Förderung schaffen. Was die CSU etwa mit dem ganztägigen G8 gemacht hat, ist doch nur die Verlängerung des Horrors vom Vormittag auf den Nachmittag. Wir Sozis haben eine andere Vorstellung von einer menschlichen Schule: Die Kinder sollen in der Schule am Nachmittag gefördert werden und zuhause keinerlei Hausaufgaben mehr zu erledigen haben.
Hinzukommt ein früherer Beginn der Förderung. Ein Betreuungsgeld ist deshalb der komplett falsche Ansatz. In denjenigen Ländern, in denen es das Betreuungsgeld bereits gibt, nutzen das Angebot vor allem Menschen mit geringem Einkommen, weil diese die 100 Euro brauchen können – und lassen ihre Kinder zuhause. Sie geben ihnen damit aber leider auch wieder schlechtere Chancen für die Zukunft.
Gut. Sie hatten von drei Punkten gesprochen. Was ist der zweite?
Die Löhne, auch die müssen gerecht sein. Man muss von seiner Hände Arbeit leben können. Anständige Arbeit muss anständig bezahlt werden. Der Freistaat ist eines der letzten Bundesländer, in dem bei öffentlichen Aufträgen auch Hungerlöhne bezahlt werden dürfen. In SPD-regierten Bundesländern ist das anders: Dort sind Tarif- oder Mindestlöhne Teil der Ausschreibungen.
Der dritte Punkt?
Der Umgang mit den Menschen. Die Frage ist: Fühlen sich die Regierenden wie Könige und Regenten? Oder sieht man sich als Diener des Volkes? Daraus leiten sich viele Dinge ab. Zum Beispiel: Wie respektvoll geht man mit Bürgervoten, Bürgerentscheiden um? Wie stark beteilige ich die Bürger an Planungsprozessen? Wie transparent gestalte ich mein Handeln?
Die SPD war in Bayern gerade mal drei Jahre in der Situation sich als „König“ fühlen zu dürfen. Das ist schon viele Jahre her …
Das stimmt, wir hatten auf Landesebene in den vergangenen Jahrzehnten nicht die Möglichkeit zu beweisen, dass wir es besser machen können – aber sehr wohl auf der kommunalen Ebene. Dort, wo in Bayern die Sozis regieren, geht es den Leuten nicht schlechter, sondern im Regelfall sogar besser – etwa in Nürnberg, in München und dem Speckgürtel drum herum. Und das hat mit dem Umgang mit den Menschen zu tun.
Thema Niederbayern: Welche Schwerpunkte will die SPD hier in Zukunft setzen?
Ein großes Thema, wenn es um unsere Heimat geht, ist die freifließende Donau, deren Schutzpatronin eine Sozialdemokratin ist: Bruni Irber. Sie hat jahrelang dafür gekämpft, ohne sie wäre die Staustufe schon längst da. Dieses Erbe müssen wir weitertragen – da man bei der CSU ja nicht weiß, ob sie es sich morgen vielleicht schon wieder anders überlegt … Die SPD muss dafür sorgen, dass man eine vernünftige Lösung findet, die ohne Staustufen auskommt.
Das zweite Thema lautet: Infrastruktur. Hier brauchen wir konkrete Projekte für den ländlichen Raum. Der Dreh- und Angelpunkt für einen positiven Strukturwandel sind die Arbeitsplätze – wobei nicht mehr der Autobahnanschluss so entscheidend ist wie früher, sondern vielmehr der Datenautobahnanschluss. Der kleine Handwerker, der Architekt, die Mittelständler brauchen das schnelle Internet. Wir haben sehr viele „hidden champions“ in Niederbayern, die Weltmarktführer auf ihrem Gebiet sind – sie brauchen diese schnelle Anbindung. Es ist oft zum Weinen, wenn auch in kleineren Städten bestimmte Gewerbegebiete nicht angeschlossen sind – von den Dörfern will ich gar nicht reden. Da macht es keinen Sinn allen das Glasfaserkabel zu versprechen. Denn das kann niemand bezahlen.
Was ist die Lösung?
Es geht darum, für die nächsten zehn Jahre die richtige Mischung hinzubekommen: Glasfaser dorthin, wo es Sinn macht – und über LTE die anderen Räume weitestgehend erschließen. Mit einer Geschwindigkeit, die sowohl für die private Nutzung als auch für viele mittelständische Betriebe ausreicht. Wenn wir allen 100 Mbit versprechen – das ist utopisch! Mit flächendeckend 8 oder 9 Mbit wäre schon vielen geholfen.
Welchen Nachholbedarf gibt es bei Straße und Bahn?
Mein Vorwurf an die Staatsregierung lautet hier, dass sie den Fall des Eisernen Vorhangs verkehrstechnisch verschlafen hat. Es gibt bei uns einen enormen Zuwachs an Verkehr, Niederbayern ist in die Mitte Europas gerückt. Aber die Staatregierung hat bei der Planung und bei der Anmeldung der Vorhaben gegenüber dem Bund vieles verschlafen – bei Bundesstraßen, bei der A 94 usw. Das kann man nicht von heute auf morgen nachholen und man kann auch nicht versprechen, dass jede Bundesstraße vierspurig ausgebaut wird …
Sollte die SPD die nächste bayerische Regierung anführen – was wäre Ihr Platz in einem Kabinett Ude? Der des Finanzministers?
Auch wenn man mir meine Antwort jetzt möglicherweise nicht abnimmt: Mir geht es erst einmal nicht um mich, sondern darum, andere Mehrheitsverhältnisse herzustellen. Ich will einen Politikwechsel, nicht nur einen Machtwechsel. Als Landesvorsitzender kann sich mir – sollte es soweit kommen – natürlich auch die Möglichkeit bieten, Teil einer künftigen Regierungsmannschaft in Bayern oder im Bund zu werden. Da gäbe es aber vorher viele Fragen zu klären. Etwa: Welche Ministerien wird die SPD besetzen? Ich kann mir durchaus vorstellen, da einen Posten zu übernehmen. Aber wenn, dann sollte es freilich ein Bereich sein, von dem ich Ahnung habe.
Angenommen es klappt mit dem Wahlsieg und Sie ziehen ins bayerische Finanzministerium ein. Was würden sie anders machen? Gäbe es unter einem Finanzminister Pronold noch den Vorsatz Bayern bis 2030 schuldenfrei zu machen?
Das ist genau eine dieser Trickkisten von Seehofer und Söder, völlig haltlose Pläne zu machen … Ich halte es für sinnvoll Schulden abzubauen, aber das kann man auf verschiedene Arten machen. Der wichtigste Weg ist das Wachstum anzukurbeln. Nur wer Steuereinnahmen hat, kann Schulden abbauen – sofern man das Mehr an eingenommenem Geld auch für Schuldentilgung verwendet. Die derzeitige Regierung macht mit dem Geld gerade nichts als Wahlgeschenke …
Die Einnahmenseite muss verbessert werden, wobei der Ehrliche natürlich nicht der Dumme sein darf. Die kleinen Handwerker, die normalen Arbeitnehmer zahlen brav ihre Steuern. Andere kriegen nur dann Angst, wenn wieder mal eine Steuer-CD im Umlauf ist. Ich bin dafür, die Mittel für die Steuerfahndung aufzustocken und internationale Steueroasen auszutrocknen. Dann können wir uns über die Frage „Wer zahlt was?“ ganz anders unterhalten. Wenn im oberen Zehntel alle ihre Steuern ehrlich zahlen würden, hätten wir einige Dinge anders gelöst …
Die Krise 2008 hat gezeigt: Wenn der Staat sein Geld benutzt, um Konjunkturprogramme zu finanzieren, Kurzarbeitergeld bezahlt, in den Kommunen dafür sorgt, dass wieder mehr gebaut werden kann, kommt das bei den Leuten besser an. Es gibt mehr Jobs, die Arbeitslosigkeit geht zurück, die sozialen Sicherungssysteme funktionieren. Es geht nicht darum, irgendwelche Steuergeschenke an die breite Masse zu verteilen, bei denen im Endeffekt nur ein paar Euro für den Einzelnen übrig bleiben. Es geht darum, das Geld stattdessen für mehr Bildung einzusetzen, für bessere Kinderbetreuung, auch um Alleinerziehende zu unterstützen, die mit das größte Armutsrisiko haben. Das Themen Pendlerpauschale und Pkw-Maut gehören ebenfalls hierher. Als Kind Niederbayerns weiß ich, dass Menschen, die ihre Heimat nicht aufgeben wollen, immer noch auf diese Unterstützung angewiesen sind. Pendeln darf nicht bestraft werden über die Pkw-Maut!
Herr Pronold, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben.
(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung vom Online-Magazin „da Hog’n“)